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Familie Albert Schwarz

Im September 1910 zog der Metzgermeister Albert Schwarz, geb. 1883, mit seiner Frau Sarah geb. Lindheimer und dem Sohn Ferdinand Kurt von Heckholzhausen nach Weilburg. Schwarz entstammte einer alteingesessenen Heckholzhäuser Familie und hatte bereits in Heckholzhausen eine Metzgerei und ein Kolonialwarengeschäft betrieben, für die Heckholzhäuser Juden hatte er außerdem koscher geschlachtet. Genauso wie sein Vater Ferdinand.

 

Noch im gleichen Monat eröffnete er im Haus Niedergasse 11 eine Verkaufsstelle für Fleisch-waren. Das Vieh schlachtete er bei einem Metzger in Löhnberg, was wohl mit erheblichen Belastungen für den Alltag des Geschäftsbetriebs verbunden war.

 

Schon wenige Wochen nach der Geschäftseröffnung beanstandete die Polizei die Beschaffenheit des Verkaufsraums: Der sei zu niedrig, der Fußboden sei teilweise gedielt, und die Wände müssten abwaschbar sein. Schwarz nahm die geforderten baulichen Veränderungen am Verkaufsraum vor, hinsichtlich der Zimmerhöhe wurde ihm allerdings ein „Dispens“ zugestanden.

 

Vor diesem Hintergrund hat Schwarz wohl schon bald über eine Verlagerung seines Betriebes nachgedacht. Bereits im Januar 1913 fragte er beim Weilburger Magistrat an, ob er Aussicht habe, die Genehmigung zum Bau eines Schlachthauses und einer Wurstküche im Haus Niedergasse 5 zu erhalten. Die Antwort der Stadt Weilburg war positiv, und im Mai 1914 erteilte der königliche Landrat die Genehmigung zum Bau eines Schlachthauses, die mit sehr detaillierten Auflagen und Bedingungen verbunden war. Bereits im Juni 1914 beantragte Schwarz die Abnahme des Rohbaus, und wenige Wochen später dürfte der gesamte Geschäftsbetrieb in die Niedergasse 5 umgezogen sein.

Die Ehefrau Sarah war zu dieser Zeit schwanger, und am 14. Juli 1914, nachmittags um 14.15 Uhr, wurde Sohn Ludwig Max geboren. Es war eine Hausgeburt, wie damals üblich. Aber in welchem Haus fand die Geburt statt? Niedergasse 5 oder Niedergasse 11? Darüber gibt das Standesamtsregister keine Auskunft. Dies war für die Familie Schwarz aber nicht die erste Geburt in Weilburg: Bereits 1913 wurde Tochter Bertha in Weilburg geboren, 1915 folgte Sohn Walter. Zwei weitere Kinder starben schon früh nach der Geburt.

1926 gab Albert Schwarz aus unbekannten Gründen die Metzgerei in der Niedergasse auf und zog mit seiner Familie nach Frankfurt/Main. Hier verstarb er im Jahr 1933 und wurde auf dem jüdischen Friedhof Frankfurt beerdigt.

 

1936 verließ Ludwig als 22-Jähriger Deutschland. Obwohl bekannt war, dass Südafrika keine Flüchtlinge aus Deutschland aufnahm, versuchte er sein Glück in Südafrika. Während viele Personen aus Deutschland abgewiesen wurden, gelangte er nach Südafrika (Johannesburg), wie auch immer. Er fand zunächst Arbeit in einer Bäckerei. Als er etwas Geld gespart hatte, ließ er seine Mutter Sarah und seine Brüder Kurt und Walter nachkommen. Seine Schwester Bertha wanderte von Frankfurt nach Neuseeland aus.

Später eröffnete er mit einem Partner aus Deutschland in Johannesburg eine Firma für Kurzwaren und wurde in dieser Branche ein erfolgreicher Geschäftsmann. Im August 1946 heiratete er die ebenfalls aus Deutschland emigrierte Ilse Goldschmidt, dem Ehepaar wurden zwei Töchter geboren, Susan und Anne.

In den ersten Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs herrschte weitgehend „Funkstille“ zwischen Weilburg und den emigrierten Juden, und die wenigen Kontakte vollzogen sich ausschließlich auf dem Postweg. Zu ersten Besuchen von Emigranten kam es erst in den fünfziger Jahren. Wie sich erst im Jahr 2024 herausstellte, waren vermutlich die Eheleute Ludwig und Ilse Schwarz die ersten Emigranten, die Weilburg nach dem Krieg besuchten: Im Jahr 1950 unternahmen die Eheleute Schwarz eine zwei- bis dreimonatige Europareise, in deren Verlauf sie auch Weilburg einen Besuch abstatteten. Ihre zweijährige Tochter Susan ließen sie in der Obhut der Großeltern Goldschmidt in Südafrika zurück.

In Weilburg traf Ludwig mit seinem früheren Kindermädchen „Ernstinchen“ zusammen. Diese war von seinem Besuch so überrascht, dass sie „fast einen Anfall bekommen hätte“, wie Ludwig in einem Brief berichtete. Welchen richtigen Namen „Ernstinchen“ trug, ist dem Brief aber nicht zu entnehmen.

 

1959 reiste Ludwig Schwarz mit seiner Familie – Schwiegermutter Bertha Goldschmidt, Ehefrau Ilse und die beiden Töchter Susan und Anne – wieder nach Europa. Auf dem Frankfurter Flughafen traf er mit seinem Onkel Adolf Schwarz und dessen Ehefrau Anna zusammen. Adolf war ein Bruder seines Vaters Albert und hatte die NS-Zeit in Deutschland überlebt, weil er in so genannter „Mischehe“ mit einer katholischen Frau (Anna) verheiratet war.

Auch Weilburg stand wieder auf dem Besuchsprogramm. Ludwig war schon mit gemischten Gefühlen nach Deutschland gereist, aber bei dem Besuch in Weilburg war Ludwig „sehr aufgeregt“, vermerkte die Ehefrau Ilse in ihrem Tagebuch. Doch der Besuch verlief offen-sichtlich harmonisch und weckte bei Ludwig Erinnerungen an seine Kindheit. Er fand die Niedergasse fast unverändert vor und traf mit einem Mitschüler aus den zwanziger Jahren zusammen, dem Hotelier Willi Görtz (Hotel „Traube“), ebenfalls 1914 in Weilburg geboren. In Weilburg hatte Ludwig sechs Jahre die Schule besucht: zunächst von 1920 bis 1924 die Volksschule und dann noch von 1924 – 1926 das Weilburger Gymnasium.

Willi Görtz ließ es sich nicht nehmen, mit seinem Oldtimer-Auto „Laubfrosch“ Ludwig in Weilburg spazieren zu fahren. Vermutlich war die Familie Schwarz zum Abschluss des Tages auch noch zu Gast im Hotel „Traube“.

Der Besuch im Jahr 1959 war für Ludwig Schwarz ein letztes Wiedersehen mit seiner Geburtsstadt Weilburg. 1977 verstarb er in seiner neuen Heimat Südafrika und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Johannesburg beerdigt.

Seine Ehefrau Ilse und seine Tochter Susan besuchten Weilburg noch einmal im Jahr 1994 und fotografierten dabei das Haus Niedergasse 5, in dem sich damals die Gaststätte „Brückenschänke“ befand.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Tochter Anne wanderte 1990 mit ihrem Ehemann Theo Kossowsky und den beiden Kindern David und Lauren von Südafrika nach Kanada (Toronto) aus. Auch Annes Schwester Susan verließ mit ihrer Familie Südafrika und lebt heute (2024) in den USA (Florida).

Eine unglaubliche Begegnung

VORGESCHICHTE

Der nachfolgende Text erzählt ein Stück Weilburger Familiengeschichte. Um ihn verstehen zu können, muss man sich an Folgendes erinnern: In der Niedergasse lebten die Familien Stern und Schwarz als Nachbarn nebeneinander, die Familie Schwarz im Haus Nr. 5 und die Familie Stern im Haus Nr. 7.

Der aus Heckholzhausen stammende Metzgermeister Albert Schwarz betrieb hier eine Metzgerei. 1926 zog er mit seiner Familie – Ehefrau Sarah und die vier Kinder Kurt, Ludwig, Walter und Bertha – nach Frankfurt/Main, wo er bereits 1933 starb.

Im Nachbarhaus Nr. 7 lebte die Familie Stern. Die Eltern Alexander und Mathilde Stern betrieben ein gut gehendes Futtermittelgeschäft, sie hatten sieben Kinder: Arthur, Sophie, Flora, Siegfried, Ludwig, Sidonie und Otto. Der Familienvater Alexander Stern verstarb 1930.

Die politischen Veränderungen in Deutschland ab 1933 zerstreuten beide Familien: Die gesamte Familie Schwarz wanderte aus: Bertha nach Neuseeland und die anderen Familienmitglieder nach Südafrika.

Auch die Mitglieder der Stern-Familie gingen den Weg der Emigration: Mathilde, Arthur und Otto emigrierten nach Palästina, Flora in die USA; Siegfried nach Südamerika, Ludwig und Sophie in die Niederlande. Nur Sidonie verblieb in Deutschland, heiratete 1934 den Protestanten Willy Heigl und überlebte in dieser so genannten „Mischehe“ die NS-Zeit in Deutschland.

REISE NACH ISRAEL

1965 unternahm Ludwig Schwarz mit seiner Frau Ilse und den Töchtern Susan und Anne von Südafrika aus eine Reise nach Israel, um Verwandte und Freunde zu besuchen. Die Familie flog nach Tel Aviv und bezog Quartier in einem kleineren Hotel in der Nähe des Strandes. Hier im Hotelviertel von Tel Aviv kam es dann zu einem denkwürdigen Wiedersehen, an das sich die beiden Töchter Susan und Anne noch heute, Jahrzehnte später, genau erinnern können:

Ludwig Schwarz verließ das Hotel, um allein einen Spaziergang zu machen. Vermutlich wollte er sich nur ein wenig umschauen, entspannen, vielleicht in einem Lokal einen Kaffee oder ein Glas Wasser trinken und dann wieder in sein Hotel zurückkehren.

 

Ganz in der Nähe des Hotels, in dem die Familie Schwarz untergekommen war, liegt das Dan- Hotel, damals schon eines der besten und teuersten Hotels in Tel Aviv, ein Hotel der Luxusklasse, direkt am Strand gelegen.

Ludwig Schwarz entscheidet sich, das Dan-Hotel aufzusuchen. Vielleicht haben ihn die Lage und die Größe des Hotels beeindruckt, niemand weiß es. Er hätte genauso gut ein anderes Hotel oder Restaurant aufsuchen können, aber seine Schritte führen ihn zum Dan Hotel.

Er betritt die elegante und großzügig eingerichtete Lounge des Hotels und nimmt Platz, vielleicht an der Bar oder an einem Tisch. Ein Kellner, etwa 60 Jahre alt, im weißen Dinner-Jackett mit Fliege, kommt und fragt nach seinen Wünschen, Ludwig Schwarz gibt seine Bestellung auf. So werden die ersten Worte gewechselt.

Schwarz spricht vermutlich Englisch, er ist ja mittlerweile Südafrikaner geworden. Oder Deutsch. Niemand weiß es. Auf jeden Fall entwickelt sich an diesem Tag noch ein längeres Gespräch zwischen den beiden Männern. Sie unterhalten sich, erzählen sich, wo sie her-kommen, wie sie heißen … Und am Ende des Gesprächs liegen sich die beiden Männer weinend in den Armen.

Denn der Kellner im weißen Dinner-Jackett mit Fliege ist niemand anderes als Otto Stern aus Weilburg, der bereits seit vielen Jahren als Kellner im Dan-Hotel arbeitet. Hier, in der eleganten Hotel-Lounge von Tel Aviv, sehen sich Ludwig Schwarz und Otto Stern, die Nachbarjungen aus der Weilburger Niedergasse, zum ersten Mal wieder, und dies ganz zufällig. Oder war es Fügung? Seit 1926 (!) hatten sie nichts mehr voneinander gehört.

Das Wiedersehen mit seinem ehemaligen Nachbarn Otto Stern wühlt Ludwig Schwarz tief auf. Seine Tochter Anne erinnert sich: „Als mein Vater vom Dan-Hotel zurückkam und uns von dem unglaublichen Wiedersehen erzählte, fing er an zu weinen.“ Schwarz hatte geglaubt, Otto und seine Familie seien Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung geworden. Und Otto hatte vermutlich angenommen, die Familie Schwarz sei dem Holocaust zum Opfer gefallen …

 

 

Kontakte mit Nachfahren jüdischer Weilburger

Anne Kossowsky und Susan Traub

 

Etwa zur Mitte des Jahres 2010 erreichte eine Anfrage aus Toronto das Weilburger Rathaus, sie wurde umgehend an mich weitergeleitet: Eine gewisse Anne Kossowsky, die ich bis dahin nicht kannte, bat, den Spuren ihrer jüdischen Vorfahren in Weilburg nachzugehen. Meine anschließenden Recherchen erstreckten sich über viele Wochen und Monate, sie förderten Erstaunliches und Umfangreiches zu Tage:

Annes Großvater war der Metzgermeister Albert Schwarz, und Annes Vater war Ludwig Schwarz (vgl. hierzu auch Geschichte der Familie Schwarz). Darüber hinaus erschlossen meine Nachforschungen noch andere bemerkenswerte Details zur Geschichte der Familie Schwarz: Alberts Eltern, Ferdinand und Johanna Schwarz, wurden zwischen 1877 und 1888 insgesamt acht Kinder in Heckholzhausen geboren, Albert hatte also noch sieben Geschwister. Ein Bruder (Julius) starb schon im Alter von einem Jahr, drei Schwestern (Helene, Frieda und Sarah) wanderten bereits vor 1914 aus, vermutlich alle nach den USA. Vier der Geschwister wanderten bereits vor 1914 aus, vermutlich alle nach den USA. Albert verstarb 1933 in Frankfurt; sein Bruder Adolf, ebenfalls Metzger, überlebte die NS-Zeit in Frankfurt, weil er in so genannter „Mischehe“ mit einer katholischen Frau (Anna) verheiratet war. Der Bruder Max betrieb in Merenberg eine gutgehende Metzgerei. Er und die Schwester Franziska wurden Opfer des Holocaust.

Die Juden in Heckholzhausen gehörten zur Kultusgemeinde Schupbach, hier befanden sich auch eine Synagoge und ein Friedhof.

Alle Ergebnisse der Recherche wurden Anne Kossowsky übermittelt, die ihrerseits berichtete, dass ihr Vater Ludwig in Südafrika nie etwas von seiner Familie erzählt habe. Zum Beispiel, dass sein Vater Albert sieben Geschwister hatte. Und seine Mutter Sarah, die aus Nassau stammte hatte fünf Geschwister. Erst durch ihre Anfrage in Weilburg erfuhr Anne von der Existenz ihrer Großonkel und ihrer Großtanten sowie von weiteren Einzelheiten der Familiengeschichte Schwarz.

Im Gefolge der Anfrage und der umfassenden Ergebnisse der Recherchen entwickelten sich enge und freundschaftliche Beziehungen zu Anne Kossowsky und ihrer Schwester Susan Traub, die bis heute (2025) bestehen. Dazu gehören regelmäßiger Austausch von Emails, gelegentliche Telefonate und Face-Time-Kommunikation. An Themen fehlt es hierzu nicht. Beide Schwestern werden stets über alle Vorhaben der Erinnerungsarbeit in Weilburg informiert. Das neue Tafel-Projekt in der Weilburger Innenstadt (2024/2025) kommentierte Anne mit den Worten: „Your new project … is a wonderful idea.“

Im Jahr 2018 kam es sogar zu einem Besuch in Deutschland: Die ehemalige Synagoge Schupbach wurde im April 2018 nach jahrelangen Sanierungsarbeiten als Veranstaltungsstätte neu eingeweiht, die Einweihung fand in großem Rahmen statt. Hierzu reisten Anne und ihre Kinder Lauren und David sowie ihre Schwester Susan aus Übersee an und wohnten den Feierlichkeiten in Schupbach bei, denn Albert Schwarz hatte bis 1910 der Kultusgemeinde Schupbach angehört. Sie besuchten auch Heckholzhausen, Alberts Geburtsort. Zum dichten Programm der Gäste aus Amerika gehörte auch ein Besuch Weimars und der Gedenkstätte Buchenwald. Und in Weilburg nahm die Familie Kossowsky symbolträchtig Quartier in einer Ferienwohnung in der Niedergasse. Diese liegt nur wenige Meter von der Stelle entfernt, an der das Haus Niedergasse 5, das Haus der Familie Schwarz, einst gestanden hatte. Durch ein Fenster der Ferienwohnung konnte Anne Kossowsky diese Stelle sehen. Und sie erinnerte sich an ihren ersten Besuch in Weilburg im Jahre 1959, zusammen mit ihren Eltern. Damals stand das Haus noch …  

Alexandra Herbert

Eine E-Mail aus Oberursel

Seit vielen Jahren recherchiere ich zur Geschichte jüdischer Familien aus Weilburg und habe dabei oft bemerkenswerte Erkenntnisse zu Tage fördern können. Die Recherche beginnt im Regelfall damit, dass eine Anfrage aus den USA oder Israel in Weilburg ankommt, die dann an mich weitergeleitet wird. Ich versuche, die Anfrage zu beantworten, was mir in den meisten Fällen auch immer gelungen ist.

Anfang November 2024 erreichte mich aber eine E-Mail, die überhaupt nicht in dieses Schema passte. Die E-Mail kam nicht aus den USA oder Israel, sondern aus Deutschland, nämlich aus Oberursel bei Frankfurt. Und sie enthielt eine Mitteilung, die mich völlig überraschte: Die Absenderin, Alexandra Herbert, die mir bis dahin unbekannt war, teilte mir mit, sie vermute, dass sie die Urenkelin von Adolf Schwarz sei. Der E-Mail waren Dokumente beigefügt, die zweifelsfrei belegten, dass es sich bei Alexandra Herbert tatsächlich um eine Urenkelin von Adolf Schwarz handelte. Dass Adolf Schwarz Nachkommen hatte, wusste ich bis dahin nicht! Im weiteren Verlauf unserer Kontakte erfuhr ich noch von anderen Tatbeständen, die mir ebenfalls unbekannt gewesen waren.

Zur Geschichte von Adolf Schwarz

Über Adolf Schwarz war mir von anderen Recherchen bereits Folgendes bekannt: Er entstammte einer jüdischen Familie aus Heckholzhausen. Der Vater Ferdinand Schwarz betrieb in Heckholzhausen eine Metzgerei und ein Kolonialwarengeschäft. Ihm und seiner Ehefrau Johanna wurden in Heckholzhausen zwischen 1877 und 1888 acht Kinder geboren, 1884 kam Adolf zur Welt. Ein Sohn (Julius) starb im Alter von einem Jahr, drei Töchter (Helene, Frieda und Sarah) emigrierten bereits vor dem Ersten Weltkrieg aus Deutschland, wahrscheinlich alle in die USA. Drei Söhne (Albert, Adolf und Max) und die Tochter Franziska blieben in Deutschland. Die Söhne erlernten wie ihr Vater das Metzgerhandwerk: Albert eröffnete 1910 in Weilburg eine Metzgerei, und Max betrieb nach dem Ersten Weltkrieg in Merenberg ebenfalls eine Metzgerei. Adolf Schwarz ging nach Frankfurt und fand Arbeit im städtischen Schlachthof. In Frankfurt lernte Adolf die katholische Anna Rieder kennen, die 1892 in einem Dorf in der Pfalz geboren wurde und in einem wohlhabenden Frankfurter Haushalt als Köchin arbeitete. Am 2. August 1914 heirateten Adolf und Anna vor einem Standesamt in Frankfurt.

Von Adolfs Urenkelin erfuhr ich nun, dass Adolf und Anna eine Tochter namens Erna Elisabeth hatten, die am 22. Dezember 1913 im Städtischen Krankenhaus Frankfurt geboren wurde. Zwei Tage nach der Geburt wurde Erna Elisabeth im Krankenhaus katholisch getauft. Durch die standesamtliche Trauung ihrer Eltern am 2. August 1914 wurde Erna Elisabeth ein eheliches Kind. 1915 wurden Anna und Adolf nach katholischem Ritus auch noch kirchlich getraut. Die katholische Ehefrau Anna spielte hierbei offensichtlich eine dominante Rolle. Ihr ist es wohl auch zuzuschreiben, dass Adolf nach dem Ersten Weltkrieg auch den letzten Schritt vollzog und 1922 in die katholische Kirche eintrat. In Adolfs Stammbuch findet sich der folgende handschriftliche Vermerk: „Adolf Schwarz ist am 11.04.1922 in der Liebfrauenkirche in die katholische Kirche aufgenommen worden.“

In der NS-Zeit

Bis 1935 arbeitete Adolf im städtischen Schlachthof Frankfurt, dann war er bis 1938 arbeitslos. Ab 1938 war er an verschiedenen Arbeitsstellen in Frankfurt beschäftigt, und zwar bis Mitte Februar 1945. Trotz seines Übertritts zur katholischen Kirche galt Adolf Schwarz ab 1933 entsprechend der NS-Sprachregelung als so genannter „Volljude“. Er blieb aber von den Deportationen, die in Frankfurt bereits im Herbst 1941 begannen, zunächst verschont. Denn er war mit einer katholischen Frau (Anna) in einer so genannten „Mischehe“ verheiratet. Auf der „Wannsee-Konferenz“ war Anfang 1942 vereinbart worden, dass die jüdischen Partner in diesen „Mischehen“ (zunächst) nicht deportiert werden sollten. Erst zu Beginn des Jahres 1945 begann die Gestapo damit, auch diese Juden zu deportieren.

Am 14. Februar 1945 wurde Adolf von Frankfurt nach Theresienstadt deportiert. Zu diesem Zeitpunkt waren aber viele Vernichtungslager im Osten Europas bereits von der Roten Armee befreit worden. So blieb Adolf Häftling in Theresienstadt bis zur Befreiung am 8. Mai 1945, er kehrte nach Frankfurt zurück.

 

Nachfahren

Nach dem Krieg, noch im Jahr 1945, heiratete Erna Elisabeth Schwarz Rudolf Herbert (1915 -1954). Während des Krieges hatten die beiden nicht heiraten dürfen, weil Erna Elisabeth als „Halbjüdin“ galt. Adolf verstarb 1967 und seine Ehefrau Anna im Jahr 1972. Die Eheleute wurden auf dem öffentlichen Friedhof in Frankfurt-Bornheim beigesetzt, ihr Grab wurde bereits vor vielen Jahren abgeräumt. Ihre Tochter Erna Elisabeth verstarb im Jahr 1974. Erna Elisabeth und Rudolf Herbert hatten zwei Kinder, die Tochter Marianne (1943 – 2025) und den Sohn Bernhard (1946 - 2022).

Im Januar 2025 besuchte Bernhard Herberts Tochter Alexandra Herbert Weilburg, sie wurde begleitet von ihrer Mutter Sigrid Herbert. Alexandra Herbert kam nach Weilburg, um das Grab von Adolfs Mutter, Johanna Schwarz, zu besuchen, die auf dem jüdischen Friedhof Weilburg beerdigt ist. Johanna Schwarz, die 1923 in Merenberg verstarb, hatte die letzten Jahre ihres Lebens im Hause ihres Sohnes Max in Merenberg verbracht. Da die Merenberger Juden zur Kultusgemeinde Weilburg gehörten, wurde Johanna Schwarz auf dem jüdischen Friedhof Weilburg bestattet. Es war für Alexandra Herbert ein bewegender Moment, am Grabe ihrer Ururgroßmutter Johanna Schwarz zu stehen.

  Neue Verwandte

Alexandra Herbert war sehr überrascht, als sie von mir erfuhr, dass noch Verwandte von ihr in Kanada und in den USA leben, von denen hatte sie bis dahin nichts gewusst: In Toronto (Kanada) lebt Anne Kossowsky mit ihrer Familie, und in Florida lebt deren Schwester Susan Traub mit ihrer Familie. Anne und Susan sind Enkeltöchter von Albert Schwarz, der bis 1926 in der Weilburger Niedergasse eine Metzgerei betrieben hatte. Albert und Adolf Schwarz waren Brüder; Alexandra, Anne und Susan sind also Kusinen.

Aber auch Anne und Susan wussten nichts von ihrer Kusine Alexandra in Oberursel. So war die Freude über die neu „entdeckten“ Verwandten auf beiden Seiten gleichermaßen groß. Und die Freude darüber wurde auch nicht dadurch geschmälert, dass die Kusinen unterschiedlicher Konfession sind: Anne und Susan sind jüdischer Konfession, Alexandra ist evangelisch.

 

 

Joachim Warlies